Baugeschichte - Architekturjournalismus

Ulrich Coenen

 

Graf-Eberhards-Bad in Wildbad

 

 

Kurarchitektur

Seit 2001 beschäftige ich mich mit der Baugeschichte der Kurstädte von der Antike bis zur Gegenwart. Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht Baden-Baden als herausragendes Beispiel einer Kurstadt. Im Auftrag der Stadt Baden-Baden habe ich die Stadtbaugeschichte erforscht. Die Ergebnisse wurden im Frühjahr 2008 in Form des Buches "Von Aquae bis Baden-Baden - Die Baugeschichte der Stadt und ihr Beitrag zur Entwicklung der Kurarchitektur" präsentiert. Daneben habe ich mehrere Aufsätze zum Thema Kurarchitektur publiziert. Diese finden sich im Literaturverzeichnis am Ende dieser Seite.

Der folgende Beitrag basiert auf meinem Vortrag "Kurbäder und Kurarchitektur im 19. Jahrhundert", den ich 2015 beim Workshop "Das Bad als Mußeraum" des interdisziplinären Sonderforschungsbereichs (SFB) Muße der Universität Freiburg i. B. gehalten habe. Der Vortrag ist auch als Aufsatz erschienen (siehe Literaturverzeichnis am Seitenende). Die Quellenbachweise gibt es im gedruckten Aufsatz.

 

Kurbäder und Kurarchitektur im 19. Jahrhundert

Kurarchitektur bildet eine eigene Gattung innerhalb der Baukunst. Allerdings hat sie nicht in allen Epochen hervorragende Beispiele hervorgebracht, vielmehr konzentrieren diese sich auf die römische Kaiserzeit und das 19. Jahrhundert. Das Erscheinungsbild der Kurarchitektur ist vielfältig und wird durch zum Teil unterschiedliche Typen für gesellschaftliche Zwecke und den Badebetrieb geprägt.
Kurarchitektur wird vor allem durch ihre Aufgabe, dem Kurbetrieb zu dienen, definiert. Dieser hat seit der Antike neben dem gesundheitlichen immer auch einen gesellschaftlichen Aspekt. Deshalb gehören neben Badehäusern auch Bauwerke, die der Unterhaltung der Gäste dienen, zum Spektrum der Kurarchitektur. In den Bädern suchten die Gäste Genesung und Entspannung in mineralischem Thermalwasser, dem bereits in der Antike eine medizinische Wirkung zugeschrieben wurde. In den Bauten für gesellschaftliche Zwecke stand das Vergnügen im Vordergrund, das weder mit der medizinischen Kur noch mit Wellness im modernen Sinne etwas zu tun hat. Vielmehr drehte sich alles um Freizeitaktivitäten wie Tanz oder Glücksspiel.

Welche Rolle die Muße im Zusammenhang mit den Gesellschafts- und Bäderbauten in Kurstädten spielt, ist bislang kaum erforscht. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass Bäder in Kurorten für die Muße von sehr viel größerer Bedeutung sind, als Bauwerke, die beispielsweise für das Glücksspiel errichtet wurden. Der Widerspruch zwischen der Kur als einer Zeit der Muße und einer Zeit des Vergnügens, die das Gegenteil von Muße darstellt, zieht sich durch die mehr als zweitausendjährige Geschichte des Kurwesens. Der Kurgast erlebte, je nach den Vorlieben der Zeit, in den Kurorten mehr oder weniger Muße. Dabei lassen sich abrupte Änderungen feststellen, wie beispielsweise nach dem deutschen Glücksspielverbot von 1872, das dem Publikum in den Kurstädten das Vergnügen nahm und die Muße geradezu aufzwang.

Antike

Die ältesten Kurstädte im deutschsprachigen Raum blicken auf eine fast 2000-jährige Geschichte zurück. Fast gleichzeitig entstanden im ersten nachchristlichen Jahrhundert an der Ostgrenze des römischen Reiches Aachen, Wiesbaden, Baden-Baden, Badenweiler und Baden im Aargau. Nördlich der Alpen gibt es weitere Beispiele für römische Gründungen, unter anderem Baden bei Wien. Diese Orte erlebten eine ähnliche Entwicklung. Sie ist gekennzeichnet durch eine Blütezeit des Kurwesens in der Antike, den Niedergang im Mittelalter und die erneute Blüte im Spätmittelalter.

Nicht allein das Kurwesen, sondern das Badewesen in seiner Gesamtheit war in der Antike von großer gesellschaftlicher Bedeutung. In fast jedem Ort gab es Thermen mit teilweise beachtlichen Dimensionen. Höhepunkt dieser Entwicklung ist der Bautypus der Kaiserthermen, der sich seit dem ersten nachchristlichen Jahrhundert entwickelte und die Dimensionen einer Staatsarchitektur erreichte. Die größten Kaiserthermen sind die 306 n. Chr. vollendeten Diokletiansthermen in Rom, die 3000 Besuchern Platz boten. Beim Typus der Kaiserthermen wird die zentrale Halle mit den Haupträumen von symmetrischen Gruppen von Nebenräumen gerahmt. Im Gegensatz zu den Thermalbädern, gespeist mit dem aus heißen Quellen sprudelnden Thermalwasser, wurden die „normalen“ Thermen mit Süßwasser betrieben.

 Antike Thermalbäder sind ein Sondertyp innerhalb der Badehäuser. Sie sind in der Regel weniger symmetrisch als die Kaiserthermen, weil sie sich der jeweiligen Topografie des Quellgebiets anpassen müssen. Die bedeutendste Kurstadt der römischen Antike war Baiae im Golf von Neapel. Seit der spätrepublikanischen Zeit entstand dort eine in den Berghang gestaffelte Kur- und Thermenanlage mit einer Ausdehnung von fast einem halben Kilometer. Erwähnenswert sind vor allem drei Rundbauten, die seit der frühen Neuzeit irreführenderweise als Tempel bezeichnet werden. Tatsächlich handelt es sich um überkuppelte Badesäle. Der älteste ist der sog. "Merkurtempel", der in die Zeit um 50 v. Chr. datiert wird. Er weist Parallelen zum jüngeren Pantheon in Rom auf.

Die Kurorte in der römischen Provinz nördlich der Alpen konnten im Hinblick auf ihre Dimensionen und ihre künstlerische Qualität nicht mit Baiae konkurrieren. Dennoch gibt es beachtliche Beispiele. Zu nennen ist die mehr als 92 Meter lange Therme in Badenweiler, die kurz vor 100 n. Chr. begonnen und später erweitert wurde. Die symmetrische Doppelanlage teilt sich in vier große Becken, die auf der Ost- und Westseite jeweils paarweise zusammengefasst sind.
Im Bereich des heutigen Marktplatzes in Baden-Baden wurden in der Mitte des 19. Jahrhunderts die sog. „Kaiserbäder“ ausgegraben und anschließend wieder zugeschüttet. Die Doppelanlage mit jeweils zwei runden und viereckigen Becken, die der in Badenweiler ähnlich ist, stammt aus der Zeit um 100 n. Chr. und wurde um 210 ausgebaut.
 

Mittelalter

Die Blütezeit des Badewesens und auch des Kurwesens endete in Europa mit dem Untergang des römischen Reiches. Im islamischen Kulturkreis fanden das römische Badewesen und die Bäderarchitektur eine bedeutende Nachfolge. Zwar wissen wir über die hohe Wertschätzung der Badekultur in karolingischer Zeit Bescheid, doch quantitativ gewannen das Badewesen und auch das Kurbad erst in den spätmittelalterlichen Städten Westeuropas wieder an Bedeutung. Erhalten sind nur wenige Badehäuser, und zumeist sind sie schlecht erforscht. Im Gegensatz zur Antike bildeten die spätmittelalterlichen Bäder keine eigenen formalen Bautypus aus. Wie die Hygienebäder in den Städten befanden sich auch die Kurbäder in Gebäuden, die von außen nicht von Wohnhäusern zu unterscheiden waren.


Die Kurstadt als Residenz

Baden-Baden war vom 12. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts Residenzstadt der Markgrafen von Baden. Das ist kein Einzelfall. Viele Kurstädte waren zumindest zeitweise Residenzen einer Fürstenfamilie. Weitere prominente Beispiele sind Aachen und Wiesbaden. Das hat zwei Gründe. Zunächst boten die heißen Quellen den Landesherren im kalten Nordeuropa einen großen Komfort, ein Aspekt, der auch im Zusammenhang mit dem Thema Muße von Interesse ist. Außerdem konnten die Fürsten die Thermalquellen gewinnbringend vermarkten. Weil viele Kurstädte gleichzeitig Residenzstädte waren, findet sich dort auch herrschaftliche Architektur. Beispiele in Baden-Baden sind das Alte und Neue Schloss und die Stiftskirche, die als Grablege der Markgrafen diente, sowie in Aachen die Pfalz Karls des Großen.

Kurstädte und Fürstenbäder des BarockDie große Zeit des Kurbades fand mit dem 30-jährigen Krieg ihren Abschluss. Als es in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen neuen Aufschwung gab, wurde statt der bisherigen Badekur die Trinkkur Mode. Das gehobene Publikum verlor das Interesse an traditionsreichen Orten, die sich dieser Entwicklung nicht anschlossen und in entsprechende Neubauten investierten. Bekannte Beispiele sind Baden-Baden und Wiesbaden. Parallel gab es zunächst zögerlich und nach dem Westfälischen Frieden verstärkt neue Tendenzen, die als Geburt der modernen Kurstadt angesehen werden müssen. Mit den Fürstenbädern, zu denen Pyrmont und Brückenau zählen, gab es innovative Neugründungen, deren Vorbilder sich im Schlossbau finden.

Der spätere Fürstbischof Amand von Buseck baute Brückenau ab 1747 zum Fürstenbad aus. Auf einer terrassierten Anhöhe über dem Tal der Sinn rund drei Kilometer von der Stadt entfernt entstand ein Kurhaus (sog. Ross). Die zentrale Achse, die in Gestalt einer Lindenallee im Tal auf das schlossartige Gebäude zuführt, wurde an beiden Seiten von jeweils drei Pavillons gerahmt. Die Gesamtanlage orientiert sich an Marly, dem 1679 bis 1687 erbauten Jagdschloss Ludwigs XIV.

Einen wesentlich größeren Anteil als die Fürstenbäder an der Herausbildung der Kurstädte und ihrer Architektur im 19. Jahrhundert haben Bath und Aachen. In Aachen erholte sich das Kurwesen seit dem späten 17. Jahrhundert von den verheerenden Folgen des 30-jährigen Krieges und eines Stadtbrandes (1656). Maßgeblich beteiligt war der Badearzt Franz Blondel, der Aachen mit seinen balneologischen Schriften als Kurstadt bekannt machte. Seine wichtigsten Leistungen als städtischer Brunnen- und Badeinspektor waren die Förderung der Trinkkur und seine Impulse beim Bau neuer Kureinrichtungen. Seine neue Stellung als wichtigstes Modebad des Kontinents behielt Aachen bis zur Zäsur der französischen Besatzungszeit am Ende des 18. Jahrhunderts. Es wurde vor allem in moderne Einrichtungen für die Trinkkur und das gesellschaftliche Leben investiert. Seit der Antike waren die Bäder im Büchelbezirk Mittelpunkt des Kurwesens in Aachen. Dieser Altstadtbereich genügte den neuen Ansprüchen nicht mehr. Die Komphausbadstraße wurde als zweites, modernes Kurviertel ausgebaut.

Das bedeutendste Kurgebäude des 18. Jahrhunderts ist die „Neue Redoute“ (1782 -86) von dem Architekten Jakob Couven. Mit ihr fand die Neugestaltung der Komphausbadstraße zugleich ihren Höhepunkt und Abschluss. Das dreigeschossige Bauwerk diente der Unterhaltung der Kurgäste bei Glücksspiel und Tanz und ist als Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens ein direkter Vorläufer des im 19. Jahrhundert weit verbreiteten Typus des Kurhauses.
Bath in England entwickelte sich ab 1725 zu einem Modebad, das Aachen in jeder Hinsicht übertraf. Der Architekt John Wood d. Ä. und sein Sohn John Wood d. J. planten einen Stadtgrundriss mit spektakulären Plätzen. Als entscheidender Unterschied zu den traditionellen Kurstädten auf dem Kontinent wuchs Bath über die mittelalterlichen Stadtmauern hinaus. In den kontinentalen Kurstädten blieben diese bis ins 19. Jahrhundert erhalten.

Kurstädte im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert sind Kurstädte eine urbane Sonderform. Sie entwickelten sich zum Treffpunkt eines internationalen Publikums aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen. Zu nennen sind insbesondere Adel, Großbürgertum und Künstler. Typisch für das Freizeitangebot ist die Verbindung von Unterhaltung, Kultur, Erholung, Landschaftserlebnis und balneologischer Therapie. Diese manifestierte sich in der Architektur. Obwohl die Industrialisierung voran schritt, wurden die Handwerksbetriebe aus den Kurstädten verdrängt. In diesen Orten war kein Platz für Fabriken und Arbeitersiedlungen. Für die Bevölkerungsschichten, die es sich leisten konnten, entstand in den Kurorten ein Asyl, in dem sie für eine bestimmte Zeit fernab von den Zwängen der Gegenwart Zerstreuung fanden. Kurstädte sind also in gewisser Weise ein Gegenentwurf zur Industriestadt.

Ein wesentlicher Aspekt des Kurwesens im 19. Jahrhundert ist das Glücksspiel, das 1837 in Frankreich und 1872 in Deutschland verboten wurde. Diese Verbote hatten erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Kurorte. Nach dem Glücksspielverbot in Frankreich übernahmen erfolgreiche französische Casinobetreiber die wichtigsten Spielbanken in Deutschland, zum Beispiel Baden-Baden, Homburg und Wiesbaden. Die Spielbankpächter waren als Mäzene und Bauherren von großer Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die Familie Bénazet in Baden-Baden, aber auch für die Gebrüder Blanc in Homburg. Die von ihnen errichteten oder erweiterten Kurgebäude dienten ausschließlich der Unterhaltung oder kulturellen Zwecken, in jedem Fall aber der Freizeitgestaltung. Einrichtungen für therapeutische Zwecke spielten nur eine untergeordnete Rolle.

Alfred de Musset erwähnt die Bäder Baden-Badens in seinem Gedicht „Une bonne fortune“ 1834 mit keinem Wort: „Wasser – ich habe keins, als dort ich war, entdeckt. Doch dass es welches gibt, leugne ich in keiner Weise.“ Iwan Turgenjew berichtet in seinem 1867 erschienenen Roman „Rauch" über die Spielsucht der Kurgäste, die die Freizeitgestaltung bestimmte: „Um die grünen Tische in den Spielsälen drängten sich wie immer die altbekannten Gestalten mit dem ewig gleichen, stumpfen und gierigen, halb fassungslosen, halb erbitterten, doch im Grunde genommen habsüchtigen Ausdruck.“

Mit den französischen Spielbankpächtern hielt ein neubarocker Architekturstil, der sich an Pariser Vorbilden orientierte, Einzug in die deutschen Kurstädte. Die bedeutendsten Beispiele finden sich in Baden-Baden. Die Motive für das Raumprogramm der Kurhauserweiterung 1853-55 unter der Bauherrschaft der Bénazets entlehnte der Architekt Charles Séchan beispielsweise den Schlössern Versailles, Marly und Trianon. Das 1862 eröffnete, im neobarocken Stil erbaute Theater in Baden-Baden des Architekten Charles Derchy ist ein weiteres Beispiel für den Einfluss der Bénazets als Bauherren.

In den wichtigsten deutschen Kurstädten wird erst im Zusammenhang mit dem Glücksspielverbot 1872 in Thermalbäder investiert. In Baden-Baden wurden beispielsweise innerhalb von nur zwei Jahrzehnten drei große Badehäuser errichtet. Um für die Gäste attraktiv zu bleiben, musste die Stadt nach der Schließung der Spielbank in ein Angebot investieren, das man heute als „Wellness“ bezeichnet. Dadurch änderte sich das Freizeitverhalten der Kurgäste. Als der amerikanische Schriftstellers Mark Twain in seinem 1880 erschienenen Buch „Zu Fuß durch Europa“ über Baden-Baden berichtete, beeindruckte ihn vor allem die Erholung, die er in den Bädern fand: „Das neue Friedrichsbad ist ein sehr großes und schönes Gebäude und in ihm kann man jedes Bad nehmen, das jemals erfunden wurde." Dass Johann Strauss (Sohn) erst ab den 1870er Jahren in Baden-Baden die Inspiration für seine Arbeit als Komponist fand, verdeutlicht den Wechsel vom Vergnügungsbetrieb zur Muße in der Kurstadt.

Vor 1872 gab es in Deutschland nur in kleineren Kurorten bedeutende Thermalbäder. Weil es dort, ebenso wie in Frankreich seit 1837, kein Glücksspiel gab, wurde in diesen Orten wesentlich früher in therapeutische Einrichtungen investiert. Dadurch erlangten Bauwerke wie das Graf-Eberhards-Bad in Wildbad eine Vorbildfunktion.

Kurarchitektur

Kurstädte des 19. Jahrhunderts zeichnen sich durch eine lockere Bebauung mit vielen Grünflächen aus. Architektur und Kurparks verschmelzen zu einer Einheit. Die in Form von englischen Gärten angelegten Parks gehen nahtlos in die freie Landschaft über. Die Kurstädte des 19. Jahrhunderts bilden geradezu eine Synthese aus Kurarchitektur und Landschaft. Das damit verbundene Naturerlebnis ist ein wesentlicher Faktor für die Muße, die die Gäste vor allem nach dem Ende des Glücksspiel 1872 in den Kurstädten fanden.

Die neuen Kurgebäude des 19. Jahrhunderts entstanden in der Regel außerhalb der Altstädte. Sie sind nicht ohne ihre Einbettung in Kurparks verständlich. Dabei passen sich die Kurstädte in der Regel der Topografie und vor allem dem Quellgebiet an. Idealanlagen sind im 19. Jahrhundert die Ausnahme. Beispiele sind das 1793 gegründete Franzensbad in Böhmen, die Altstadt von Wiesbaden, die nach Plänen von Carl Florian Götz und Johann Christian Zais zwischen 1805 und 1830 mit einem Straßensystem in Form eines Fünfecks umgeben wurde, und Weinbrenners nicht realisiertes städtebauliches Konzept für Badenweiler (1820).

Neben den städtebaulichen Besonderheiten spielen spezielle Bautypen eine wichtige Rolle. Allgemein lässt sich bei öffentlichen Bauaufgaben seit der Wende zum 19. Jahrhundert eine Differenzierung konstatieren, die in großem Umfang Bauwerke für gesellschaftliche Anlässe betraf. Neben Bauten für kulturelle Zwecke wie Theater, Oper und Museum sind Festsäle und Vereinshäuser zu nennen. An die Stelle von Gasthäusern und Herbergen traten Hotels. Sie boten nicht nur Übernachtungsmöglichkeiten und Verpflegung, sondern waren auch wichtige Orte der Kommunikation.

Die große Verbreitung von Gebäuden für Bildung, Kommunikation und Freizeit beschränkte sich nicht auf die Kurstädte, sondern war typisch für alle Städte der Epoche. Allerdings konzentrierten sich diese Einrichtungen gerade in den Kurorten. Der Bedarf war dort größer als in „normalen“ Städten. In Kurorten überstieg die Zahl der Gäste, die hier Erholung suchten, die der Einwohner. Für diese Touristen musste das Angebot an Gesellschaftsbauten, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen natürlich größer sein als beispielsweise in einer Industriestadt.

Kurstädte hatten also bei der Ausgestaltung der Bauwerke für gesellschaftliche Anlässe und Freizeitgestaltung im 19. Jahrhundert eine wichtige Funktion. Dort entstanden Bauaufgaben, die es nur in diesen Städten gab. Bei diesen Haupttypen der Kurarchitektur handelt es sich um Kurhaus, Trinkhalle und Kurbad/Thermalbad. Daneben wird das Erscheinungsbild der Kurstädte von Landschaftsgärten, Hotels und Villen, aber auch von Theatern, Museen, Bergbahnen und Aussichtstürmen bestimmt. Diese Nebentypen sind aber nicht auf die Kurstadt beschränkt, sondern im 19. Jahrhundert weit verbreitete Bauaufgaben. Die Vielfalt der genannten Bautypen macht die Kurstadt zu einem „Gesamtkunstwerk“. Wegen ihrer Einzigartigkeit müssen Kurhaus, Trinkhalle und Thermalbad aber im Mittelpunkt jeder Beschäftigung mit Kurstädten stehen.

Das Kurhaus als Bautyp

Das Kurhaus des 19. Jahrhunderts ist ausschließlich für gesellschaftliche Zwecke bestimmt. Sein Grundriss wird durch einen großen zentralen Saal und Nebenräume für verschiedene Zwecke wie Glücksspiel, Lesen und Restaurant charakterisiert.  Der Prototyp des modernen Kurhauses ist das Kurhaus in Wiesbaden von Christian Zais (1808-10). Seit dem Abriss dieses Gebäudes 1905 ist das vom Großherzoglichen Baudirektor Friedrich Weinbrenner geplante Kurhaus in Baden-Baden (1822-24) das älteste erhaltene Bauwerk dieses Typus. Beide Kurhäuser sind lang gestreckte dreiteilige Anlagen mit einem großen zentralen Saalbau, der von zwei Pavillons flankiert wird. Galerien vermitteln zwischen den drei großen Baukörpern.

Das Kurhaus in Wiesbaden diente Weinbrenner als Vorbild. Doch insbesondere bei der Gestaltung des zentralen Festsaals ging der Großherzogliche Baudirektor eigene Wege. Der Festsaal des Baden-Badener Kurhauses unterscheidet sich grundsätzlich von dem Wiesbadener. Der Hauptraum in Baden-Baden ist ein Saal, der in Wiesbaden eine dreischiffige Halle mit Peristyl und Spiegeldecke. Der flachgedeckte Saal in Baden-Baden ist – wie bei dieser Raumform üblich – nicht unterteilt und wird durch Wände begrenzt. Die Halle in Wiesbaden besitzt eingestellte Stützen, die eine Galerie tragen und die Seitenschiffe abgrenzen. Sowohl im Hinblick auf den seitlichen Abschluss als auch auf die Decke ist der Raum weniger eindeutig definiert.

Der Baden-Badener Festsaal steht in einer anderen Tradition als die Festhalle in Wiesbaden. Diese hat ihren Ursprung in den englischen Assembly Rooms. In Deutschland wurden diese über das Weimarer Residenzschloss vermittelt. Das unmittelbare Vorbild für den Baden-Badener Saal schuf Weinbrenner 1811/12 in Bad Hub bei Ottersweier, lediglich 20 Kilometer südlich von Baden-Baden. Weinbrenner errichtete eine vierflügelige Anlage, die einen Innenhof umschließt. Im Süden der Anlage erhebt sich das zweigeschossige Gesellschaftshaus, das den Kursaal aufnimmt.

Mit den Kursälen in Hub und Baden-Baden steht Weinbrenner in der Tradition der deutschen Kurarchitektur des 18. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang ist die Neue Redoute in Aachen zu nennen. In beiden Fällen stehen ungeteilte Säle im Zentrum. Sie erstrecken sich über zwei Geschosse und ihre Wandflächen werden durch Pilaster gegliedert.

Während die Festsäle in Wiesbaden und Baden-Baden verschiedene Typen darstellen, weisen die Gesamtanlagen im Grund- und Aufriss beachtliche Übereinstimmungen auf. Die Hauptfassaden beider Kurhäuser zeigen einen überhöhten Mittelbau mit beidseitig anschließenden Galerien und Eckpavillons. Die Villen Palladios standen hierfür Pate. Im zweiten Buch seines Architektur-Traktats behandelte Palladio 1570 die Gestaltung von Villen, darunter solche mit geraden und gebogenen Kolonnaden und Eckpavillons. Auch der erhöhte Mittelbau mit Portikus und Tempelgiebel gehörte zum Programm. Wesentliche Anregungen erhielt Zais offensichtlich durch die Villa Badoer in Fratta Polesine.

Die frühen Kurhäuser des Historismus haben zum Teil einen anderen Grund- und Aufriss als ihre klassizistischen Vorgänger. Diese Vielfalt zeigt, dass sich die Bauaufgabe verselbstständigt hatte und beliebig variiert werden konnte. Charakterisiert wird der Bautyp durch seine Funktion bzw. Nutzung und durch das Raumprogramm.

Zwei sehr verschiedene Beispiele für historisierende Kurhäuser seien genannt: 1827-33 erbaute Johann Gutensohn den sog. Kursaal in Brückenau, der einem neuen Schema folgte. Das Gebäude im Stil der italienischen Hochrenaissance besitzt einen rechteckigen Grundriss und einen basilikalen Querschnitt. Friedrich von Gärtner errichtete 1834-38 den Kursaal in Kissingen. Im Zentrum der Dreiflügelanlage steht der zweigeschossige Kursaal, der beidseitig von winkelförmigen Arkaden flankiert wird. Diese Seitenflügel enden in Kopfpavillons.

Das Ende des Glücksspiels 1872 blieb nicht ohne Einfluss auf die Kurhäuser in Deutschland, schließlich war es die wichtigste Einnahmequelle der großen Kurstädte. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es nur noch wenige Neubauten. Der Schwerpunkt lag nun im Bereich des Bäderbaus. Die gestiegenen Ansprüche des Publikums sorgten zu Beginn des 20. Jahrhunderts für einen neuen Bauboom. Den Höhepunkt markierte Friedrich von Thiersch mit dem neuen Kurhaus in Wiesbaden 1905-07.

Während der Prototyp des modernen Kurhauses von Christian Zais in Wiesbaden diesem Neubau weichen musste, ging man in Baden-Baden einen anderen Weg. August Stürzenacker, als Bautechnischer Referent des Innenministeriums in Karlsruhe für das Projekt verantwortlich, lehnte einen Abriss ab. Stürzenackers 1912-17 realisiertes Konzept erhielt die Außenarchitektur, den zentralen Kursaal Weinbrenners und die neubarocken Säle Charles Séchans aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. An der Rückseite des Kurhauses errichtete er einen weiteren großen Saalbau mit multifunktionalem Fest- und Konzertsaal. Dieser wird durch ein neues Vestibül mit Treppenhaus erschlossen. Anregung und Vorbild für Stürzenackers Umbau gehen von Weinbrenners Altbau aus und wurden in ihm gesucht. Das ist in der Kurarchitektur des frühen 20. Jahrhunderts in dieser Form einzigartig. Vergleichbar ist allenfalls die fast zeitgleiche Kurhauserweiterung in Kissingen.

Die Trinkhalle als Bautyp

Der Ursprung der Trinkhalle sind Brunnen, die nach der Einführung der Trinkkur im Barock große Verbreitung fanden. Brunnen zum Schöpfen des Thermalwassers gab es im 17. Jahrhundert in allen deutschen Kurstädten. Zum Schutz der Kurgäste vor der Witterung wurden über den Brunnen Pavillons errichtet. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Brunnenhäuser durch Galerien erweitert. Der früheste bekannte Entwurf stammt von Rudolph Eickemeyer und wurde vor 1792 angefertigt. Der unrealisierte Plan sieht die Erweiterung des barocken Brunnenhauses in Schwalbach um seitliche Galerien und Eckpavillons vor. Im 19. Jahrhundert war die Trinkhalle ein allgemein bekannter Bautypus mit unterschiedlichen Lösungen in Grund- und Aufriss.

Ein frühes Beispiel einer klassizistischen Trinkhalle ist die Neubrunnenkolonnade in Karlsbad, die der Dresdner Baumeister Anton Giesel 1811 errichtete. Die nicht erhaltene lang gestreckte Anlage war zweigeschossig und trug ein Satteldach, die eigentliche Wandelhalle befand sich im Obergeschoss. Ebenfalls nicht erhalten ist Weinbrenners zweigeschossige Trinkhalle auf dem Florentinerberg in Baden-Baden (1823), die dem Karlsbader Vorbild folgte.

Heinrich Hübsch, Weinbrenners Nachfolger als Großherzoglicher Baudirektor, errichtete 1839-42 nördlich des Kurhauses in Baden-Baden eine 80 Meter lange Trinkhalle, an deren Rückseite eine zentrale Brunnenhalle anschließt. Wie der Elisenbrunnen in Aachen (1825-27) ist sie eine Synthese aus Wandelhalle und Brunnenhaus, allerdings beschritt Hübsch einen völlig anderen Weg als Johann Peter Cremer und Karl Friedrich Schinkel in Aachen. Dort steht die Brunnenhalle ideell und geometrisch im Zentrum der Anlage, in Baden-Baden wird sie – für den Besucher zunächst nicht sichtbar – an die Rückseite verlegt. Hübsch wandte sich ganz bewusst von klassizistischen Vorbildern ab. Die Arkaden der Wandelhalle besitzen statt eines Rundbogens lediglich einen flachen Segmentbogen. Hübsch fasste die Galerie zu einer langgestreckten wellenartigen Bewegung zusammen. Die oberitalienischen Loggien der Frührenaissance sind ein Vorbild für die Baden-Badener Trinkhalle. In diesem Zusammenhang ist das Findelhaus in Florenz von Filippo Brunelleschi aus dem Jahr 1421 zu nennen.

Neben aufwändigen Steinbauten gab es in Leichtbauweise ausgeführte Trinkhallen in Fachwerk oder Eisenkonstruktion. Typische Beispiele sind die Trinkhallen von Albert von Bok in Wildbad (1876-78) und von Adolf Helbling in Badenweiler (1882). Die sog. Wandelbahn in Badenweiler zeigt, dass die Trinkhallen aus Gusseisen keine künstlerische Eigenständigkeit besitzen. Das 45 Meter lange Bauwerk, das 1974 für den Neubau des Kurhauses abgerissen wurde, erschien wie eine Übertragung der Baden-Badener Trinkhalle von Hübsch in einen modernen Baustoff.

Die prächtigste Trink- und Wandelhalle steht zugleich am Ende der Entwicklung dieser Baugattung. Die Thermalanlage Tettuccio in Montecatini in der Toskana wurde 1916-26 nach Plänen von Ugo Giovannozzi errichtet. Die weitläufige Doppelanlage in der Formensprache der Renaissance und des Barock besteht aus zwei Innenhöfen, die von Wandelhallen mit Kolonnaden gerahmt werden. In diesen Innenhöfen gibt es große Wasserbassins, die aber nicht als Thermalbad dienen, sondern lediglich eine formale und ästhetische Reminiszenz daran sind.

Der Tettuccio orientiert sich am Vorbild des Canopus der Villa des römischen Kaisers Hadrian, die von 118 bis 134 n. Chr. bei Tivoli errichtet wurde. Der Tettuccio ist ein Gesamtensemble mit umfangreichem ikonografischem Programm, das aus Skulpturen und Wandgemälden verschiedener Künstler zwischen Historismus und Jugendstil besteht. Der Bau markiert das Ende einer Entwicklung, die mit schlichten Brunnen begann. Die Trinkkur steht nicht mehr im Vordergrund. Ein wesentlicher Aspekt ist die Unterhaltung. Damit übernimmt der Tettuccio Aufgaben, die ursprünglich von Kurhäusern wahrgenommen wurden, sprengt auf diese Weise aber die herkömmlichen Dimensionen dieser Baugattung.

Das Kurbad/Thermalbad als Bautyp

Das wichtigste Kurbad/Thermalbad, das unmittelbar im Zusammenhang mit dem Glücksspielverbot gebaut wurde, ist das Friedrichsbad in Baden-Baden. Es entstand 1869-77 nach Plänen von Karl Dernfeld, der als Bezirksbauinspektor die staatliche Baubehörde in Baden-Baden leitete. Vorbildcharakter haben vor allem das Raitzenbad in Budapest, aber auch das Graf-Eber¬hardsbad (heute Palais Thermal) in Wildbad und die bereits erwähnten römischen Kaiserthermen.

Das spätklassizistische Eberhardsbad im württembergischen Wildbad wurde 1840 bis 1847 nach Plänen Niko¬laus Friedrich von Thourets errichtet. Es ist das erste repräsentative Gesellschafts¬bad der nachan¬tiken Zeit in Deutschland. Miklós Ybl, einer der bedeutendsten Architekten der Stadt, konzipierte 1860 bis 1873 das Raitzenbad in Budapest. Dieses stellt im Gegensatz zum Eberhardsbad keinen vollständigen Neubau dar, sondern eine Erweiterung des bereits bestehenden „Königlichen Bades“.

Im Hinblick auf die Einrichtung des Gesellschaftsbades im Friedrichsbad sind Einflüsse aus Großbritannien erwähnenswert. Der britische Diplomat David Urquhart hat durch seine Veröffentlichungen das römische oder türkische Bad in Europa bekannt gemacht. 1862 eröffnete er in London einen Hammam (Architekt: George Somers Clarke), der sich an den Vorbildern des islamischen Kulturkreises und des rö¬mischen Rei¬ches orientierte. Unter dem Einfluss Urquharts schuf der irische Arzt Richard Barter bereits 1856 in St. Anne´s Hill bei Cork in Irland das erste Türkische Bad in Westeuropa. Er entwickelte ein trockenes Heißluftbad mit deutlich höherer Temperatur. Das wurde nun Türkisch-Römisches oder Rö-misch-Irisches Bad genannt und verbreitete sich rasch auch auf dem europäischen Kontinent.

Das Friedrichsbad in Baden-Baden entstand 1869-77 in der steilen Hanglage des Quellgebiets (Florentinerberg) in den Formen der Neurenaissance. Im Vergleich zur benachbarten kleinteiligen Altstadtbebauung hat das in drei Baukörper aufgelöste Gebäude, das sich der Topografie mustergültig anpasst, beachtliche Abmessungen (62,5 x 50 m). Sein axialsymmetrischer Grundriss folgt dem antiken Vorbild der Kaiserthermen, insbesondere den Diokletiansthermen und Caracallathermen in Rom. Beide Kaiserthermen besitzen eine Symmetrieachse mit den Haupträumen, um die sich spiegelbildlich die Nebenräume gruppieren. Eine solche Symmetrieachse hat auch das Friedrichsbad mit Vestibül, Treppenhaus, und Kuppelsaal des Gesellschaftsbades. Ideelles und geometrisches Zentrum ist der quadratische Baukörper mit dem kreisrunden Bewegungsbad, der nach dem Vorbild des Caldariums der Caracallathermen eine 17,5 Meter hohe Kuppel trägt.

Die Kuppel ist eine Gewölbeform, die ursprünglich aus dem römischen Thermenbau stammt. Frühe Beispiele sind in Pompeji (ca. 100 v. Chr.) und Baiae bei Neapel (Merkurtempel) erhalten (ca. 50 v. Chr.). In der Kaiserzeit fand die Kuppel Eingang in die Sakralarchitektur. Das bedeutendste Beispiel ist das Pantheon in Rom. Die Ähnlichkeit mit den monumentalen Kuppeln der großen Thermen legte im 19. und im frühen 20. Jahrhundert die Vermutung nahe, das Pantheon habe ursprünglich ebenfalls als Thermensaal gedient. Auch Dernfeld hat diesen größten Zentralbau der Antike für einen erhaltenen Raum der Agrippa-Thermen gehal¬ten. So schuf er in Baden-Baden einen überkuppelten Baderaum nach dem Vorbild des Pantheons. Dabei übernahm der Architekt die Kassettendecke der Kuppel, das kreisrunde Oberlicht in deren Zentrum und den zweigeschossigen Wandaufriss des Innenraums.

Daneben gibt es andere Einflüsse. Während im römischen und byzantinischen Kulturkreis großartige Kuppeln entstanden, war diese Gewölbeform im europäischen Mittelalter wenig bedeutend. Erst in der Renaissance wurden, angeregt durch das Pantheon, wieder große Kuppelbauten errichtet. Höhepunkt dieser Entwicklung ist die ab 1547 von Michelangelo und Giacomo della Porta geschaffene Kuppel des Petersdoms in Rom. Sie beschreibt nicht wie im Pantheon eine Halbkugel, sondern ist parabolisch überhöht. Grundriss ist in St. Peter nicht der Kreis, sondern das Quadrat. Dernfeld schuf mit der Kuppel des Friedrichsbades, die sich ebenfalls aus dem Quadrat entwickelt und parabolisch überhöht ist, ein Gewölbe, das Merkmale des Pantheons und des Petersdoms vereint.

Weitere Bauaufgaben der Kurstadt

Es ist im Rahmen dieses Überblicks nicht möglich, auf alle für die Kurstadt wichtigen Baugattungen einzugehen. Villen, Theater, Aussichtstürme oder Museen erhielten in den Kurstädten keine besondere Ausformung, obwohl sie das Stadtbild entscheidend mitprägen. Erwähnenswert ist der Bautyp des Hotels, der im 19. Jahrhundert die Nachfolge der Herberge antrat. Friedrich Weinbrenner baute das säkularisierte barocke Kapuzinerkloster in Baden-Baden 1807-09 zum ersten Luxushotel Deutschlands um (Badischer Hof). Dieses Gebäude erlangte für die Gattung Vorbildfunktion.

Im Hinblick auf die Konfessionen wurden die deutschen Kurstädte in der Mitte des 19. Jahrhunderts pluralistischer. Teilweise exotische Kirchen für verschiedene Konfessionen sind typisch für Kurstädte im 19. Jahrhundert. Besonders groß ist die Vielfalt in Baden-Baden. Zu nennen sind die russische Kirche, die Stourdza-Kapelle und die anglikanische Kirche.

Entwicklung nach 1918

Die Katastrophe des 1. Weltkriegs bedeutete für die Kurstädte einen entscheidenden Einschnitt. Die gesellschaftlichen Schichten, die das Kurwesen getragen hatten, gab es in der bisherigen Form nicht mehr. In den beiden Jahrzehnten zwischen den Kriegen stagnierte die bauliche Entwicklung weitgehend. Im 2. Weltkrieg wurden viele Kurgebäude vernichtet, zahlreiche andere in den folgenden drei Jahrzehnten abgerissen. Ein prominentes Beispiel ist das Kurhaus in Homburg, das bei einem Bombenangriff 1945 getroffen wurde. Obwohl die Umfassungsmauern erhalten blieben, konnte man sich nicht zum Wiederaufbau entschließen. Der Neubau 1949-52 nach Plänen der Architekten H. C. Bartels und J. Schweitzer ist der erste dieser Art in Deutschland nach 1945. Er steht für einen neuen multifunktionalen Typ.

Dieser übernimmt Aufgaben, die mit dem eigentlichen Kurbetrieb nichts zu tun haben. Gleichzeitig werden traditionelle Funktionen, wie das Glücksspiel, ausgelagert.
Die klassischen Gattungen der Kurarchitektur, die sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hatten, lösten sich auf. In den größeren Kurstädten gab es nun spezielle Kongresshäuser, die sich nicht von denen in anderen Städten unterschieden. Ein Bezug zum Thema Muße ist bei diesen Bauwerken nicht mehr erkennbar. Wichtige Beispiele sind das Kongresshaus in Baden-Baden (1964-68 nach Entwurf von Günther Seemann) und das Eurogress in Aachen (1975-77 nach Plänen von Erwin Schiffer), das als multifunktionales Veranstaltungszentrum gebaut wurde. Für das Kurhaus als gesellschaftlichen Treffpunkt, wie er zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden war, gab es keinen Bedarf mehr.

Das herausragende Kurhaus der Zeit nach 1945 schuf Klaus Humpert 1970-72 in Badenweiler. Der Architekt geht keine Kompromisse ein. Im Hinblick auf seine Funktion ist sein Werk ausschließlich Kurhaus und nicht zugleich Einkaufszentrum, Bank und Hotel. Humpert konzipierte das Gebäude als gesellschaftlichen Mittelpunkt des Kurortes, der sowohl der Unterhaltung als auch kulturellen Zwecken dient. Damit steht das Gebäude funktional in der Tradition des 19. Jahrhunderts. Formal beschreitet Humpert völlig neue Wege. Das dreigeschossige in Stahlbetonweise errichtete Kurhaus ist terrassenartig in den Burgberg gestaffelt. Humpert nutzt geschickt die Topografie und die Ruine auf dem Gipfel, die er dem Kurhaus wie eine Krone aufsetzt.
Die Vegetation zieht über das flach gedeckte Gebäude hinweg, die Wanderwege, die den Burgberg durchziehen, durchdringen das Gebäude und seine Terrassen. Humperts Kurhaus blieb bedauerlicherweise ohne Nachfolger.

Thermalbäder wurden in den beiden ersten Jahrzehnten nach dem 2. Weltkrieg fast ausschließlich unter medizinischen Aspekten konzipiert. Ein typisches Beispiel ist das Neue Augustabad in Baden-Baden, das Rolf E. Weber 1963-66 errichtete. Ein ähnliches Negativbeispiel ist das siebengeschossige Neue Eberhardsbad in Wildbad (1970-77).
Die formale Ausgestaltung ist willkürlich, die Gebäude sind von außen nicht als Therme zu identifizieren und könnten ge¬nauso gut ein Bürohaus sein. Diese Bäderarchitektur ist für die medizinische Kur konzipiert, sie bietet dem Besucher wenig Möglichkeiten zur Muße.

Der Prototyp des modernen Thermalbades ist das Thermalbad in Wildbad. Es wurde 1962-65 nach einem Entwurf von Wolfgang Walther errichtet. Das terrassenförmig in den Hang des Wildbader Tals gestaffelte Gebäude hat eine unregelmäßige Grundrissgestalt, die sich der Topografie anpasst. Das Thermalbad war bei seiner Eröffnung einzigartig. Die beiden sechsseitigen Badesäle im Zentrum der Anlage sind zwischen hohen Eckpfeilern in voller Gebäudehöhe verglast und öffnen sich zur Landschaft und zum Außenbecken, in dem erstmals in Deutschland ein Winterbetrieb möglich war. Das Thermalbad in Wildbad wurde zum Vorbild für zahlreiche spätere Thermalbäder, wie sie ab den 1970er Jahren entstanden. Walthers Werk beeinflusste aber ebenfalls die Freizeitbäder, die gleichzeitig in Mode kamen.

In der Nachfolge des Thermalbades in Wildbad sind das Thermal-Bewegungsbad in Badenweiler und die Caracalla-Therme in Baden-Baden zu sehen, die beide zentralbauartige Badesäle besitzen. 1977-81 wurde das Thermal-Bewegungsbad in Badenweiler nach Plänen von Walter Strop errichtet. Hans-Dieter Hecker baute 1981-85 die Caracalla-Therme. Ihre Kuppel ruht auf zwölf weißen Stahlbetonsäulen, die ein rundes Thermalschwimmbecken umgeben. Hecker zitiert mit der Kuppel die des benachbarten Friedrichsbades und knüpft damit bewusst an die Badetradition der Stadt an. Damit entspricht diese Architektur mehr der Idee der Muße.

Bauwerke von internationalem Rang sind nach der Zäsur 1918 in Kurstädten die Ausnahme. Mit der Therme Vals (1996) von Peter Zumthor und dem Museum Frieder Burda (2004) von Richard Meier in Baden-Baden wurden wichtige Akzente für eine zeitgenössische Kurarchitektur gesetzt. Das Museum steht in der Tradition von Weinbrenners nicht erhaltener Antiquitätenhalle und Hermann Billings Kunsthalle in Baden-Baden, will also Attraktion und Bildungsangebot für die Kurgäste zugleich sein. Dass mit Richard Meier einer der bedeutendsten Architekten der Gegenwart beauftragt wurde, hatte den vom Bauherrn beabsichtigten Werbeeffekt. Trotz der Aufmerksamkeit, die die Therme Vals und das Museum Burda erregen, muss festgestellt werden, dass die moderne Kurarchitektur nicht mehr den Stellenwert des 19. Jahrhunderts besitzt. Zwar entstanden nach 1945 zahlreiche Neubauten für die Sozialkur, doch folgen diese Gebäude dem Vorbild von Krankenhäusern und bilden keine eigenen Bautypus aus. Zeitgenössische Thermalbäder unterscheiden sich, von wenigen prominenten Beispielen abgesehen, nur unwesentlich von Freizeitbädern.
 

Literatur von Ulrich Coenen zum Thema Kurarchitektur

Baden in Baden-Baden - Von den römischen Anlagen zur modernen Caracallatherme. In: Die Ortenau – Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelbaden 81 (2001), Seite 189 - 228).

Von Aquae bis Baden-Baden - Die Baugeschichte der Stadt und ihr Beitrag zur Entwicklung der Kurarchitektur, Aachen 2008. Link zum Verlag Mainz und zur Buchbestellung

Die Kurstadt als „Gesamtkunstwerk“. Anmerkungen zur Baugeschichte Baden-Badens. In: Stadt Baden-Baden (Hrsg.), Baden-Baden - Bäder- und Kurstadt des 19. Jahrhunderts. Bewerbung der Stadt Baden-Baden als UNESCO-Weltkulturerbe. Workshop am 22.11. 2008, Baden-Baden 2009, S. 31 - 44.

Die Kurstadt als Weltkulturerbe. In. Badische Heimat 3 (2010), S. 609 - 618.

Kurarchitektur in Deutschland. In: Badische Heimat 3 (2010), S. 619 - 637.

Das Kurhaus Hub von Friedrich Weinbrenner und sein Beitrag zur klassizistischen Kurarchitektur. In: Martin Walter (Hg.): Die Hub : Geschichte und Gegenwart einer einzigartigen Einrichtung, Gernsbach 2012, S. 51 - 64.

Anmerkungen zur Geschichte und Bedeutung der Kurarchitektur.  In: Martin Walter (Hg.): Die Hub : Geschichte und Gegenwart einer einzigartigen Einrichtung, Gernsbach 2012, S. 16 - 23.

Kurbäder und Kurarchitektur im 19. Jahrhundert. In: Hans W. Hubert, Anja Grebe und Antonio Russo (Hg.): Das Bad als Mußeraum. Räume, Träger und Praktiken der Badekultur von der Antike bis zur Gegenwart, Tübingen 2020, S. 201 - 218 (Text), 316 - 344 (Abbildungen).  Onlineversion des kompletten Buches "Das Bad als Mußeraum" auf dem Server der Universität Freiburg

Die Kurhäuser in Baden-Baden und Wiesbaden. Ein neuer klassizistischer Bautyp innerhalb der Bäder- und Kurarchitektur und seine Einbindung in die Landschaft. In: Die Ortenau – Jahrbuch des Historischen Vereins für Mittelbaden 101 (2021), S. 231 - 260. Onlineversion



Weiterführende Literatur

Baeumerth, Angelika: Königsschloß contra Festtempel. Zur Architektur des Kursaalgebäudes von Bad Homburg vor der Höhe, Marburg 1990.

Bothe, Rolf: (Hrsg.), Kurstädte in Deutschland. Zur Geschichte einer Baugattung, Berlin 1984.

Bitz, Mathias: Badewesen in Südwestdeutschland 1550 bis 1840. Zum Wandel von Gesellschaft und Architektur, Idstein 1989.

Brödner, Erika: Die römischen Thermen und das antike Badewesen. Eine kulturhistorische Betrachtung, 2. Aufl., Darmstadt 1992.

Deiseroth, Wolf: Stadt Baden-Baden = Ortskernatlas Baden-Württemberg 2.2, Stuttgart 1993.

Eidloth, Volkmar (Hrsg.), Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 2012.

Föhl, Thomas Eckhard: Wildbad. Die Chronik einer Kurstadt als Baugeschichte, Neuenbürg 1988.

Genzmer, Felix: Handbuch der Architektur, Vierter Theil: Entwerfen, Anlage und Einrichtung von Gebäuden, 5. Halb-Band, Heft 3, Bade- und Schwimm-Anstalten, Stuttgart 1899.

Heinz, Werner, Römische Thermen. Badewesen und Badeluxus im römischen Reich, München 1983.

Kiby, Ulrika: Bäder und Badekultur in Orient und Okzident. Antike bis Spätbarock, Köln 1995.

Krízek, Vladimír: Kulturgeschichte des Heilbades, Stuttgart 1990.

Lotz-Heumann, Ute: Kurorte im Reich des 18. Jahrhunderts – ein Typus urbanen Lebens und Laboratorium der bürgerlichen Gesellschaft. Eine Problemskizze. In: Reingard Eßer, Thomas Fuchs (Hrsg.), Bäder und Kuren in der Aufklärung. Medizinaldiskurs und Freizeitvergnügen, Berlin 2003, S. 15 – 35.

Mylius, Jonas u. a. : Handbuch der Architektur, Vierter Teil, 4. Halbband: Gebäude für Erholungs-, Beherbergungs- und Vereinszwecke, 2. Heft, Baulichkeiten für Cur- und Badeorte, Gebäude für Gesellschaften und Vereine, Baulichkeiten für den Sport, hrsg. von Josef Durm, 2. Aufl., Darmstadt 1894.

Putschky, Carmen: Wilhelmsbad, Hofgeismar und Nenndorf. Drei Kurorte Wilhelms I. von Hessen-Kassel , Hannover 2000.

Rosseaux, Ulrich: Urbanität – Therapie – Unterhaltung. Zur historischen Bedeutung der Kur- und Bäderstädte des 19. Jahrhunderts. In: Stadt Baden-Baden (Hrsg.), Baden-Baden - Bäder- und Kurstadt des 19. Jahrhunderts. Bewerbung der Stadt Baden-Baden als UNESCO-Weltkulturerbe. Workshop am 22.11. 2008, Baden-Baden 2009, S. 49 – 51.

Sebald, Eduard: Das alte Kurhaus von Christian Zais. In: Neues Bauen in Wiesbaden 1900 – 1914. Eine Ausstellung der Landeshauptstadt Wiesbaden im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden vom 18. November bis 30. Dezember 1984, Wiesbaden 1984, S. 97 - 108.

Sebald, Eduard: Das Kurhaus, ein Bautyp des 19. Jahrhunderts am Beispiel des Wiesbadener Kurhauses von Christian Zais. In: Nassauische Annalen. Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung, Wiesbaden, Bd. 97 (1986), S. 113 - 133.

Simon, Petra; Behrens, Margrit: Badekur und Kurbad. Bauten in deutschen Bädern 1780-1920, München 1988.

Steinhauser, Monika: Das europäische Modebad des 19. Jahrhunderts. Baden-Baden, eine Residenz des Glücks. In: Ludwig Grote (Hrsg.), Die deutsche Stadt im 19. Jahrhundert. Stadtplanung und Baugestaltung im industriellen Zeitalter, München 1974, S. 95 – 128.

Ziegler, Anke: Deutsche Kurstädte im Wandel. Von den Anfängen bis zum Idealtypus im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2004.

 

 

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